Veränderungen in den Lebensgewohnheiten des Sami-Volkes
Die ursprünglichen Sámi lebten seit alters her von Fischfang, Jagd und Rentierhaltung. Bescheidener Ackerbau mit Viehhaltung, die Arbeit in der Forstwirtschaft oder der Verkauf von Waldbeeren kamen im Laufe der vorigen Jahrhunderte noch dazu. Heutzutage spielen auch noch Tourismus und Kunsthandwerk eine große Rolle für ihren Lebensunterhalt. Außerdem arbeiten viele Sámi im Dienstleistungsgewerbe sowie in anderen Bereichen der modernen Gesellschaft.
Die Rentierwirtschaft der Sámi hat sich im Laufe ihrer Geschichte als erstaunlich wandlungsfähig erwiesen und sich stets den jeweiligen Rahmenbedingungen angepasst. Anregungen und Sachzwänge ergaben sich zu allen Zeiten aus den Kontakten zur nichtsamischen Bevölkerung, im Wesentlichen zu den Bauern aber auch zu Reisenden, Kaufleuten oder Steuereintreibern.
Die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts brachten mit der Einführung des Motorschlittens durchgreifende Änderungen. Das Rentier verlor seine Bedeutung als Last- und Zugtier und wurde dem Menschen entfremdet. Auch Skier wurden nun seltener verwendet; darüber hinaus machte der Motorschlitten weitgehend den Hütehund überflüssig. Für junge Leute aber wurde die Rentierwirtschaft attraktiver, weil sich der jährliche Arbeiteinsatz durch die Motorisierung erheblich reduzierte.
Diese Entwicklung setzte sich in den 80er Jahren weiter fort: Geländemotorrad und besondere Geländewagen, mobile Funkgeräte und zuletzt Kleinflugzeug und Hubschrauber erleichtern neben den neuen Rentierzäunen auch im Sommer das Hüten der Rentiere außerordentlich. Die arbeitsintensivsten Zeiten des Jahres sind heute der Mai, wenn die kalbenden Muttertiere bewacht und geschützt werden müssen, und der Hochsommer mit dem Markieren der Kälber. Nach wie vor finden im Spätherbst und Frühwinter die Rentierscheidungen statt, bei denen die Tiere in Gehege getrieben, sortiert, geschlachtet und verkauft werden.
Der Motorschlitten als Innovation der 60er Jahre hat die Rentierwirtschaft derart verändert, dass man geradezu von einer "Motorschlitten-Revolution" spricht. Neben den unbestrittenen Vorteilen bequemer Arbeit entstanden jedoch auch Probleme in Gestalt deutlich erhöhter Kosten. So verursachte in den 70er Jahren ein Motorschlitten in einer Saison Kosten im Gegenwert des Fleisches von 50 Rentierbullen.
Typisch für die heutige samische Kultur ist die seltsame Verbindung von Modernem mit Traditionellem: So zieht gelegentlich ein hochmoderner Motorschlitten mit Funkgerät einen alten Rentierschlitten.
Die wirklich tödliche Bedrohung kam im Jahre 1986 aus einer ganz anderen Quelle, nämlich dem havarierten Reaktor von Tschernobyl. Damals wurden die Rentierflechten im südsamischen Gebiet Schwedens durch die radioaktiven Niederschläge so nachhaltig verseucht, dass das Rentierfleisch auf Jahre hinaus ungenießbar wurde und große Bestände notgeschlachtet werden mussten.
Lappland und das Rentier sind auch im Ausland durch Touristik-Werbung ein Begriff geworden. Damit suggeriert man den Touristen ein Bild von einem weiten und exotischen Land, von der letzten Wildnis Europas, wo noch genügend Raum, Wasser und Freiheit für jeden vorhanden sei. Rentierwirtscaft und Tourismus passen jedoch zusammen. Vielen Rentierzüchtern bietet der Tourismus heute einen bedeutenden Nebenverdienst. Doch bereits nach dem 2. Weltkrieg begann die rationalisierte Rentierzucht. Kennzeichnend sind der hohe technische Aufwand bei der Rentierhaltung, die Spezialisierung auf die Produktion von Rentierfleisch und eine staatliche Aufsicht, die unter anderem die Kopfzahl der Rentiere pro Weidegebiet festlegt. Dies ist notwendig für die Rentierwirtschaft. Viele Herden leben in umzäunten Gebieten und müssen nicht mehr gehütet werden. Statt der früher üblichen gemischten Herden sieht man heute neben einigen wenigen Zuchtbullen fast nur weibliche Tiere mit ihren Kälbern.
Erst in den letzten 30 Jahren hat sich der Status des Rentiers verändert.
Durch die Anpassung der Rentierwirtschaft an die Regeln der heutigen Marktwirtschaft ist aus einem ehemaligen Mehrzwecktier fast ein reiner Fleischproduzent geworden. Dadurch ist die traditionelle Ethik dem Tier gegenüber in den Hintergrund getreten. Trotz dieser Tatsache bleibt das Rentier das Fundament der samischen Kultur, das traditionelle Fähigkeiten aufrechterhält. So werden die Tiere bei den Rentierscheidungen im Herbst und Winter immer noch mit einem Lasso gefangen - eine Methode, die seit Anfang der Rentierwirtschaft bekannt ist. Die Kunst, die eigenen Tiere in einer rasenden Herde von mehreren hundert Tiere zu erkennen, ist nicht verloren gegangen. Im Sommer erfolgt die Eigentumsmarkierung der Rentierkälber nach einer uralten Methode, bei der die Ohren des Kalbes mit einem Messer in der gleichen Weise eingekerbt werden wie die Ohren des Muttertiers. Und auch im Haushalt ist das Rentier nicht überflüssig geworden: Rentierfleisch bildet immer noch das Hauptnahrungsmittel, jedenfalls in den Rentierzüchterfamilien. Auch die Verarbeitung der Felle zu Kleidungsstücken ist durchaus noch üblich.
Probleme mit der Rentierhaltung resultieren weniger aus der forstwirtschaftlichen Nutzung der Ressourcen, sondern vielmehr aus der Rentierwirtschaft selbst: Es gibt ganz einfach zu viele Rentierbesitzer. In den Sámi-Gebieten Finnlands gibt es momentan 1000 Rentierhalter, von denen 60 % weniger als 50 Rentiere besitzen. Mit einer Herde dieser Größe erzielt man Einnahmen von durchschnittlich 3500 Euro. Davon kann man aber nicht leben; das bedeutet: Die samischen Rentierbesitzer sind immer häufiger gezwungen, ihren Lebensunterhalt über anderweitige Gelegenheitsverdienste und den Tourismus abzusichern. Ein weiterer, negativer Effekt dieser Zersplitterung des Rentierbesitzes ist der heutige Zustand der Überweidung bzw. der übermäßige Verbrauch der Rentierflechten - was überall in den Nationalparks im nördlichen Lappland zu beobachten ist.
Auf der Grundlage der verschiedenen (zumeist verheimlichten privaten) alten Rentierbestände hatten sich die familiären Bestände bereits stark differenziert. Waren 1955 immerhin 30 Rekordhalter mit über 1000 Rentieren bekannt, waren es Ende 2000 nur noch 10 samische Familien, die über 1000 Stück besitzen. Ursache hierfür ist nicht der Rückgang der Rentierzahl, sondern eine andere Aufteilung des Rentiereigentums. Wir haben heute zweimal mehr Rentierzüchter als im Jahre 1955. Ein anderes Extrem ist, dass 64 % der samischen Rentierhalter die als wirtschaftlich notwendig erachtete Mindestanzahl von 80 Tieren nicht erreichen. Sie versuchen deshalb, bei reicheren Tierhaltern als Kontrakteure unterzukommen.