Probleme der Rentierwirtschaft in Finnisch-Lappland

Carl von Linné schrieb im Jahre 1732:

"Wenn es so friert, dass eine Eiskruste entsteht, und die Rentiere sie nicht aufscharren können, sterben sie in Massen, was der Lappe so fürchtet wie wir die teure Zeit, denn wenn die Rentiere sterben, muss er entweder verhungern, betteln oder stehlen."

In diesen Gebieten haben die Menschen mindestens seit 7000 Jahren gesiedelt, haben Tiere domestiziert und wilde Tiere gejagt und Wildpflanzen zu Kulturpflanzen gemacht. In Schweden und in Norwegen halten die Rentier-Sami ihre Tiere das ganze Jahr in Herden; im Winter ziehen sie mit ihren Rentieren in die tieferen Lagen und im Sommer treiben sie die Tiere in das Hochgebirge, um der unerträglichen Plage der Mücken und Bremsen zu entgehen. Diese Form der Rentierzucht wird jedoch in Finnland nicht ausgeübt, sondern die meisten Rentierbesitzer lassen ihre Tiere ab Frühling frei laufen. In den warmen Monaten wandern die Rentiere durch die Wälder, überschreiten Flüsse und schwimmen über breite Sunde und Seen. Auf den Inarisee-Inseln leben im Sommer hunderte Rentiere. Wenn der Winter naht, werden sie von einem inneren Trieb zurück "nach Hause" geführt. Die Kälber folgen ihren Müttern. Früher, vor dem motorisierten Zeitalter, hatten die Rentierzüchter Zugochsen, Schneeschuhe, Hunden und Schlitten zur Hilfe. Die Rentiere liefen im Frühling wild und unkontrolliert durch die Wälder. Jeder Rentiersbesitzer hatte einige Hirtenhunde, die die Herden vor Raubtieren und Diebesbanden schützten.

Im Laufe eines Jahres werden mehrere sog. Rentierzählungen (Rentierscheidungen) von den Rentierzuchtgemeinden durchgeführt. Zu diesem Zweck baut man umzäunte Pferche mit trichterartigen Eingängen, durch die die Tiere gejagt und dann mit einem Lasso geschickt gefangen werden. Die Rentierbesitzer haben scharfe Augen. Sie erkennen ihre eigenen Tiere auch in einer großen gemischten Herde. Gezählt und markiert werden u. a. alle neugeborenen Kälber sowie Tiere, die geschlachtet werden sollen. Auch die zukünftigen Zugtiere werden dabei heraussortiert. Zu diesem Zweck eignen sich am besten kastrierte Rentiere. Dagegen sind die Renntierbullen "Herren", die es nicht lieben, eingespannt zu werden und entsprechend wehren sie sich dagegen. Ein Schlag vom Rentierhuf oder ein Stoß mit dem spröden Geweih, dessen Spitzen leicht in der Wunde abbrechen können, ist kein Vergnügen. Selbst die kastrierten Tiere benehmen sich beim Anspannen noch ungebärdig. Man muss schnell bei der Hand sein und darf auch nicht mit Fußtritten sparen. Diese Fußtritte sind allerdings nicht so heftig wie sie aussehen, denn die Pelzschuhe der Lappen sind dick und weich ausgestopft. Die Rentiere leben hauptsächlich von der Renntierflechte, mit der der Boden großflächig bedeckt ist; nur selten und ungern fressen sie Gras. Als Nahrung bekamen die Zugochsen früher zusätzlich Brot und speziell für sie entwickelte Kraftfutter. Im Winter graben die Renntiere die Flechte aus dem tiefen Schnee. Sie schaufeln sich so tief in den Schnee hinein, dass manchmal nur ihr Hinterteil aus dem Schnee herausragt. Die Rentierzucht ist fast bei allen nördlichen eurasischen Völkern ähnlich und unterscheidet sich nur geringfügig.

Im Hinblick auf die Gesamtwirtschaft Finnlands ist die Rentierhaltung heute kaum der Rede wert. In Samengebiet jedoch ist sie der Faktor, der wirtschaftliche Unabhängigkeit und die Pflege althergebrachter Tradition bedeutet. Trotz alledem - die Zeiten haben sich geändert. Die Samennomaden, die mit ihren Herden jahrein, jahraus über die Berge bis zum Eismeerstrand zogen, gibt es schon lange Zeit nicht mehr. Die Rentierzüchter haben sich zu Genossenschaften zusammengeschlossen. Alle 57 Rentierdistrikte sind inzwischen eingefriedet; einer der größten ist der Distrikt im Inarigebiet. Er reicht von Sodankylä bis Petsikkotunturi (Utsjoki) und hat etwa über tausend Kilometer Grenzzaunlänge. Innerhalb dieser Umzäunung halten sich die Rentiere der Samen das ganze Jahr über auf und können nicht weglaufen. Jeder Rentierbesitzer im Kollektiv erkennt sein Tier an dessen Ohrenmarke.

Zwei große, aufregende Ereignisse prägen das Jahr der Rentierzüchter: Um die Mittsommernacht herum werden die Tiere für die Markierung der neugeborenen Kälber und im Herbst für die Aussortierung der Schlachttiere zusammengetrieben. Im Gebiet von Inari arbeiten die Züchter heutzutage im Herbst mit Motorrädern, Motorschlitten und Helikopter! Wenn ein einsamer Wanderer durch die Natur marschiert und ihm plötzlich ein Trupp verwegener Samenburschen mit Lasso und Messer im Gürtel auf schweren, vierrädrigen Maschinen entgegen braust (im gefrorenen Boden sinken die Maschinen nicht ein), muss er um sein Leben nicht bangen und sich auch nicht erschreckt verkriechen. Der Spuk im Wald - ist nichts weiter als die rasenden Rentiertreiber von Inari!

Nicht minder zweckmäßig ist das Einsammeln der Tiere im Winter geworden. Anstatt der vierrädrigen Bikes knattern Motorschlitten über die Weiten Lapplands. Man mag über die laute Technik jammern und den Verlust von Romantik beklagen - für die Samen bringt sie eine enorme Erleichterung. Im Inari-Distrikt dauert das Ganze nicht mehr wie früher an die zwei Monate, sondern ist in höchstens zwei bis drei Tagen über die Bühne gebracht.

Allerdings hat die Verdoppelung des Rentierbestandes in den letzten 30 Jahren auch zu einer Verarmung, ja auch zu einem Verlust an Winterweiden geführt. Der Winterbestand der Rentiere zählt heute über 192.000 Tiere. In der Winterzeit ist eine Zusatzfütterung in dem Rentierzuchtgebiet unumgänglich geworden.

Heutzutage werden in Finnland ungefähr 5 100 Renntierbesitze gezählt; die mit ihrer Rentierzucht in 57 Weidegemeinschaften organisiert sind. Hierzu gehören auch ein Teil der Provinz Oulu und die ganze Provinz Lappland. Von den 57 Rentierdistrikten liegen nur 13 im eigentlichen Samengebiet. Von den bereits erwähnten 192.000 Rentiere in ganz Finnland leben wiederum nur 38 % im Samengebiet. Von den ca. 73.000 Rentieren sind allerdings 86 % das Eigentum von Samen. Dabei gelten 300 bis 360 Tiere als das Existenzminimum für die hauptberufliche Zucht, jedoch erfüllen nur 4 % aller finnischen Samen diese Voraussetzung. Insgesamt betreiben 360 Menschen Rentierzucht als Haupt- und Nebenerwerb, meistens Teil in dem Sámigebiet. In diesem Zusammenhang spielt der Tourismus heutzutage eine wachsende Rolle als Nebenerwerb. Unabhängig von Landbesitz ist in dem Rentierzuchtgebiet die Beweidung durch Rentiere frei.

Rentiere im Ökosystem der borealen Nadelwaldzone

Die natürliche Winteräsung der Rentiere beseht aus Rentierflechten, Drahtschmielen sowie an Bäumen wachsenden Bartflechten. Das Ausscharren der Flechten wird im Spätwinter durch eine dicke und vereiste Schneedecke erschwert, weshalb Bartflechten dann einige Monate lang fast die einzige Nahrungsquelle der Rentiere darstellen. Die Auswirkungen der intensivierten Rentierzucht sind überall in den Wäldern des Rentierzuchtgebiets erkennbar und führen auch zu Konflikten mit anderen Wirtschaftszweigen. Die Forstwirtschaft wird heutzutage kritisiert, nachdem "Bartflechtenbestände" und Kiefernbestände auf Flechtenheiden eingeschlagen und verjüngt wurden. Die Begründung von Birkenbeständen ist im Rentierzuchtgebiet ohne eine Zäunung nicht möglich, da die Laubbaumverjüngungen im Sommer von Rentieren verbissen werden, wodurch die Entstehung von Birkenbeständen erschwert wird.

Die Rentiere können auch in den National- und Naturparks frei weiden. Die Abweidung führt auch dort zu einer dauerhaften Störung der Ökosysteme: Die Bartflechten regerieren sich nicht; die krautigen Pflanzen und Gräser werden abgeäst; Kiefernwurzeln werden geschwächt und die Laubbaumverjüngung wird verlangsamt. Im ganzen Rentierzuchtgebiet wird in der Regel Winterfütterung betrieben. Durch diese Fütterung wird wiederum ein die Nachhaltigkeit der Winterweide überschreitender Rentierbestand gefördert.

Forst- und Rentierwirtschaft in dem Samengebiet

Die erste radikale Änderung der Eigentumverhältnisse im Samengebiet erfolgte etwa ein Jahrzehnt nach der sog. Gründung der Finnischen Republik im Jahr 1917. Zu der eigentlichen Unabhängigkeit war es durch die politische Bindung an Finnland gekommen. Die wirtschaftliche und soziale Desintegration dauerte über drei Jahrzehnte an. In dieser Zeit wurde lediglich eine politisch-administrative Neuorganisation in Samengebiet erreicht. Die notwendigen wirtschaftlichen Restrukturierungsmaßnahmen wurden dagegen nur da und dort, sporadisch realisiert. Nach dem swedisch-russischen Krieg (1809) bekamen viele Sámen eigenes Land. Der Erfolg lag vor allem darin begründet, dass nun auf der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Ebene ein komplexer Strukturaufbau erfolgte. So hat sich im Laufe der letzten 100 Jahren das typische Rentier- Nomadenland (mit den Rentieren), in welchem anfänglich noch 40 % der Samibevölkerung einen traditionellen Nomadismus nachgingen, zu einer modernen marktwirtschaftlichen Lebensform entwickelt. In den letzten 80 Jahren sahen sich die Rentierhalter durch die jetzt stattfindende begleitende Einbindung in Versorgungs- und Verkmarktungsnetzte veranlasst, einem Paliskunta beizutreten. Bis Ende 1939 waren über 90 % der Tierhalter in einer Paliskunta Organisation Mitglied geworden.

Durchschnittlich etwa 300-500 Rentierzüchter (meistens Sámen) zogen in feste Häuser aus denen dann kleine Siedlungen entstanden. Um die Rentierhaltung zu modernisieren, wurden einige Erneuerungen durchgeführt. Die Weidewanderungen wurden nicht mehr so oft und nicht so weit geführt und zur Hilfe beim Umzug der Koten wurden Transportmittel bereitgestellt. Das traditionelle Nomadentum als "sozio-ökologische Kulturform" wich entgültig vor einer moderner, jedoch weiterhin auf saisonalen Wanderungen beruhenden, "mobilen Tierhaltung".

Die Rentierhalter verfügen im allemeinen keine eigenen Vertriebsorganisationen, um ihre Produkte auf den Markt zu bringen, so sind sie auf grössere Handelsketten angewiesen. Seit dem Beitritt in die Europäische Union und damit verbundener fallenden Preisentwicklung haben sie begonnen, eigene Direktvertriebe aufzubauen. Die Haupterwerbsquellen der heutigen Sami sind neben der Naturalwirtschaft hauptsächlich Forstwirtschaft und Tourismus. Industrie gibt es in Nord-Lappland so gut wie gar nicht. Man darf nicht vergessen, dass auch die vielen Schutzgebiete die Erwerbsmöglichkeiten der Sami erheblich einschränken.

Alle Kommunen leiden an hoher Arbeitslosigkeit. Besonders in den Kommunen Utsjoki und Inari sieht man, wie die Urproduktion langsam vor den Dienstleistungsbetrieben und anderen modernen Erwerbsquellen ausweichen musste. In Nord-Lappland arbeiten heute ca. 70 % aller Beschäftigten auf dem Dienstleistungssektor. Von der Rentierwirtschaft dagegen leben nur noch c. a. 5-8 % aller Sami. Und diejenigen, die davon leben sind schon lange keine Nomaden mehr. Die Rentierhaltung von heute ist modern:

1. Für den Winter und Frühjahr wird Zusatzfutter (Heu und Futter) gelagert. Davon werden dann Millionen Kilos im Jahr auf die Weiden für die Rentiere ausgestreut.

2. Neue Blockhütten und technische Entwicklung erleichtern die Arbeitsbedingungen auch in der Wildnis erheblich.

3. Halboffene und offene Blockgehäusern bieten den Menschen Schutz im Winter

4. Ein gut funktionierender veterinärmedizinische Dienst sorgt für die Gesundheit und überwacht die Aufzucht der Tiere.

5. Es werden immer produktivere Rassen gezüchtet

Das sind alle Merkmale einer modernen Rentierhaltung vor denen das Nomadenleben ausweichen musste.

Mitte der 80er Jahre fingen die Rentierzahlen an zu wachsen. Das Weideland reichte nicht mehr aus und die noch vorhandenen Rentierflechten wurden durch den übermäßigen Verbrauch immer abgenutzter. Also mussten die o. g. zusätzlichen Futtermittel angesetzt werden, was nicht gerade typisch für ursprüngliche samische Rentierhaltung war.

Die heutige Rentierhaltung ist gekennzeichnet durch den hohen technischen Aufwand, durch die Spezialisierung auf die Produktion von Rentierfleisch und durch die (notwendige) staatliche Aufsicht, die u. a. die Kopfzahl pro Weidegebiet festlegt.

Viele Herden leben in umzäunten Gebieten und müssen somit nicht mehr gehütet werden. Statt der früher üblichen gemischten Herden, sieht man heute neben einigen wenigen Zuchtbullen fast nur weibliche Tiere mit ihren Kälbern. In den letzten 30 Jahren hat sich auch der Status des Rentiers verändert. Durch die Anpassung an die Regeln der heutigen Marktwirtschaft, ist aus einem ehemaligen Mehrzwecktier fast ein reiner Fleischproduzent geworden und die traditionelle Ethik, die dem Tier gebührt, ist fast völlig verschwunden.

Wir leben jetzt in einer Situation, wo es zu viele Rentiere und zu viele Rentierbesitzer gibt. In den samischen Gebieten leben heute ca. 1000 Rentierbesitzer, die durchschnittlich 60 Rentiere besitzen. Davon kann man nicht leben. Daher braucht man auch in der Rentierwirtschaft eine ähnliche Strukturwandlung wie in der Landwirtschaft: d. h. weniger Rentierbesitzer jeweils mit größeren Herden, die zum Leben ausreichen. Dies würde auf langer Sicht auch noch zur Erholung des Weidelandes führen. Zwei Drittel der jetzigen Rentierzahl wäre genug.

Wenn es um Lappland geht, werden leicht die Rechte der Urbevölkerung in Vordergrund gezogen. Tatsache ist, dass die samische Bevölkerung nie unterdrückt wurde. Als 1974 "das Gesetz zu Rentiergut" verabschiedet wurde, bekamen die Sami fast umsonst vom Staat Wohnung/Haus und beinahe 200 Hektar besten Wald zur Verfügung. Mit Hilfe staatlicher Zuschüsse wurden s. g. "Koltta"*) -und Naturalwirtschaftzweige gegründet. Desgleichen hat es sich z. B. in Schweden oder in Norwegen nie gegeben. Leider schweigt man darüber. Die wirtschaftlichen Strukturen der Sami sind fast die gleichen wie die der in Lappland lebenden nicht - Sami.

Tourismus ist eine wichtige Erwerbstätigkeit für die Rentierhalter geworden. Ehemaliger Schulkamerad von mir hat einen Dienstleistungsbetrieb gegründet, wo Sami-Kultur und Rentierhaltung im Mittelpunkt stehen. Auch Sami können sich anpassen, ohne ihre Identität zu verlieren.

Die wirtschaftliche Entwicklung finnisch Lapplands beruht bisher nahezu ausschließlich auf der Erschließung landeseigene Rohstoffe. Hier einige Fakten:

  • Das Samengebiet ist noch knappt 50 % mit Wald bedeckt; vor alle die großen Kieferholzvorkommen sind wirtschaftlich bedeutsam.
  • Wichtigster und zugleich nachwachsender Rohstoff des Samenlandes ist und bleibt das Holz. In den Wäldern werden jährlich große Flächen Holz eingeschlagen, vor allem lappländische Kiefer, Fichten und Lärchen, die zumeist an Baustellen und Papierfabriken ins Ausland exportiert werden, z. B. nach Deutschland und England.
  • Auch die russische Regierung vergibt Einschlagskonzessionen auf der Kola-Halbinsel und in Karelien vor allem an finnischen Firmen, um ihre Deviseneinnahmen zu erhöhen.
  • Von den im Jahr 1969 von der finnischen Regierung für die Rentierzüchter vergebenem Land - ungefähr 200 Hektar - haben die Rentierzüchter selbst einen großen Teil ihres eigenen Wald abgeholzt.

Die Modernisierung der Rentierhaltung seit den 50er Jahren und durch die jetzt stattfindende begleitende Einbindung in die EU-Versorgungs- und Vermarktungsnetze haben die Rentierhalter veranlasst, eine uralte Lebensform aufzugeben. Die etwa 300 Rentiersamen wohnen heute in den modernen, eigenen Häusern, die zumeist zu kleineren Siedlungen organisiert wurden. Die samische Lebensweise ist durch die Auflösung der uralten, nomadisierenden Lebensform und den Zusammenbruch der Naturalwirtschaft auf ein stark vereinfachtes und reduziertes Niveau abgefallen. Von den ehemals in die National-Ökonomie und die internationalen Märkte der EU eingebunden Großbetrieben der Tierproduktion sind lediglich kleine Hütegemeinschaften und isoliert wirtschaftende Familienbetriebe übrig geblieben.

Veränderung der Lebensweise

Die ursprünglich fehlenden Vermarktungs- und Versorgungsstrukturen hatten in der Vergangenheit zur Herausbildung einer Natural- bzw. Tauschwirtschaft geführt, mit Rentieren als Haupttauschobjekt. Die saisonalen Wanderungen auf Weideplätze mit unterschiedlicher Höhenlage und Exposition - Voraussetzung für eine gedeihliche Entwicklung der Rentiere - waren bereits unter der alten Lebensform eingeschränkt worden, z.B. durch willkürliche Grenzziehungen.

Auf der Grundlage der verschiedenen (zumeist verheimlichten privaten), alten Rentierbeständen hatten sich die familiären Bestände bereits stark differenziert. Waren 1955 immerhin 30 Rekordhalter mit über 1000 Rentieren bekannt, waren es Ende 2000 nur noch 10 samische Familien, die über 1000 Stück besitzen. Ursache hierfür ist nicht der Rückgang der Rentierzahl, sondern eine andere Aufteilung des Rentiereigentums. Wir haben heute zweimal mehr Rentierzüchter als im Jahre 1955. Ein anderes Extrem ist, dass 64 % der samischen Rentierhalter die als wirtschaftlich notwendig erachtete Mindestanzahl von 80 Tieren nicht erreichen. Sie versuchen deshalb, bei reicheren Tierhaltern als Kontrakteure unterzukommen.

Veränderungen in den kommunalen Siedlungs- und Versorgungssystemen

Die ehemaligen samischen Siedlungen, die als Sammel- und Versorgungspunkt der uralten Lebensform dienten, sind fast vollständig aufgelassen. Da die aus den ortsfesten Siedlungen Abgewanderten zum größten Teil als "neue Nomaden" mobil geworden sind, ist es zu einer Verringerung der Sesshaftigkeit gekommen.

Angesichts der Weite des Landes kommt einem funktionierenden Verkehrs- und Transportwesen ein besonderer Stellenwert zu. Der Bestand an Kraftfahrzeugen ist jedoch überaltert und unzureichend. Eine schwierige Ersatzteilbeschaffung, die generell hohen Kosten für Kfz (Versicherungssteuer in Finnland) sowie fehlende Koordination schränken die Effizienz des Transportwesens ein. Eine steigende Anzahl von Tierhaltern hat daher begonnen, sich für Produktion und Vermarktung, für Versorgung und Transport der Ausrüstung eigene Fahrzeuge (Traktoren, Motorschlitten, Jeeps und u.a. Motorräder) anzuschaffen. Andererseits sehen sich ökonomisch schwächere Familien gezwungen, auch wieder auf traditionelle Formen des Transports zurückzugreifen.

Die sozialen Folgen der Modernisierung

Auch wenn viele Samen die Annehmlichkeiten der modernen Zivilisation durchaus zu schätzen wissen, bleibt sie für die Älteren doch fremd. Andererseits haben viele Samen den Kontakt zur Kultur ihrer Vorfahren verloren, indem sie sich an die moderne Zivilisation angepasst haben. Von ihrer alten Kultur versuchen sie zu bewahren, was ihnen lediglich sinnvoll erscheint. Das kann in der modernen Umgebung zu ungewöhnlichen Phänomenen führen: Weil im nordischen Winter der Rentierschlitten nach wie vor das ideale und oft einzige Fortbewegungsmittel ist, nutzen ihn auch die Samen, die jetzt in den großen Siedlungszentren Ivalo, Inari, Enontekiö leben. Der Abstand zwischen der samischen Jäger-, Fisher- und Nomadenkultur und der westlichen Zivilisation ist in vielen Lebensbereichen und Wertvorstellungen so groß, dass viele Samen daran zu zerbrechen drohen.

Was ist das größte Umweltrisiko im Samengebiet?

Das größte, aktuelle Umweltrisiko stellt die Überweidung durch die Rentiere dar. Am besten wäre es, wenn die Anzahl der Rentiere um 30 % sinken könnte. Ein weiteres, ebenfalls bedrohliches Umweltproblem Lapplands schlummert indes noch im Verborgenen: Erwärmt sich das Klima weiter so rasant, könnte der Permafrostboden bis in große Tiefen aufbauen - und gewaltige Mengen der Treibhausgase Methan und Kohlendioxid freigesetzt werden, die dort gespeichert sind. Die Lager wurden von anaeroben Archaeen gebildet - uralten Mikroorganismen, die das Sumpfmaterial über viele Jahrtausende hinweg kompostiert haben. Werden diese Gase freigesetzt, würde sich die Erdatmosphäre weiter aufheizen. Alle Dimensionen dieses Problems ist vorläufig schwer abzuschätzen. Einige Forscher haben eine Prognose gewagt: Erhöht sich die Durchschnittstemperatur in der Tundra weiterhin, würden die oberen Meter Permafrostboden auftauen, würde der CO2-Anteil in der Atmosphäre so stark zunehmen, dass die vom Kyoto-Protokoll geplanten Einsparungen wieder zunichte gemacht würden.


Eine Rentierweide hat zu stark in Kaldoaivo Kooperation die Flehte und die Birgen schädigen.

Zusammenfassung: Das neue (Ge-)Wissen von den Rentierweiden

Die Weidewirtschaft ist bereits schon seit einigen Jahren ein bedeutendes Thema der Rentierforschung. Die frühesten Untersuchungen stammen aus dem Jahr 1996. Seitdem klingt das Thema immer wieder mal an, ohne dass es umfassend monographisch behandelt wurde. Einer der Gründe dafür mag sein, dass das Thema sehr eindimensional betrachtet werden kann: Die Überweidung durch die Rentiere wird weitergehen. Im Grunde liegt hier schon die Antwort auf die Frage, wie die Situation der Rentierweide heute ist. Man ist und war sich bewusst, dass eine Gesamtbeurteilung des Problems eine notwendige Klärung von Teileaspekten vorausgehen musste. Ein wichtiger Beitrag hierfür wurde durch die umfangreiche und gründliche Forschungsarbeit der finnischen Rentierforschungsstation in Kaamanen geleistet, die auch über Rentierweiden und die anderen wichtige Themen arbeitet. Der folgende Text fasst die Untersuchungen der letzten Jahre zusammen:

Die Rentiere haben ihre Spuren überall in den Wäldern des Inari-Gebietes hinterlassen, die vor allem in der schnee- und eisfreien Jahreszeit ersichtlich sind. Man kann sagen: Die Rentierhaltung hat überall weite Flächen überformt. Die Überweidung in allen Gebieten Lapplands (über 31 000 km2) und die Ausbreitung der Siedlungen haben die Probleme noch verschärft. Zugleich kreiste die Diskussion einer ökologisch vertretbaren und nachhaltigen Entwicklung lange Zeit ausschließlich um die Erhaltung der Biodiversität.

Die nachhaltige Wirkung des menschlichen Einflusses auf die Natur zeigt sich heute nicht nur in klimatischen Veränderungen, sondern er hat auch tief greifende Veränderungen überall in der Vegetationsdecke hervorgerufen. Weite Waldflächen werden heute von Weidegründen eingenommen. Durch die frühere Abholzung der Wälder und auch die Zerstörung der Sekundärvegetation, z. B. durch Rentierverbiss, wurde der oberirdische Wasserabfluss beschleunigt. Die Überreste der früheren, natürlichen Vegetationsdecke anderen Orts belegen, dass die Vernichtung der Wasser sammelnden und speichernden Wälder dort zu der heutigen Wasserverknappung geführt hat. Dabei waren die ökologischen katastrophalen Folgen einer intensiven Weidewirtschaft für Hydrologie und Bodenqualität bereits in den späten 80er Jahren zu beobachten. Da der Zustand der Vegetation eng mit dem Ausmaß der Beweidung verknüpft ist, sind die Erhebung von Daten über die Beweidung, ihre Quantifizierung und das erforderliche Weidepotenzial unbedingt erforderlich.

Und jeder, der öfters in Nord-Lappland gewandert ist, hat sehen können, wie die hellen Flechtenheiden immer weniger geworden sind. Die Erde ist dunkel, überzogen mit einer dünnen Flechtenschicht, überwiegend aus Becherflechte. Die eigentliche, auch als Schmuck verwendete Rentierflechte oder das sog. "Island-Moos" fehlt in weiten Gebieten. Und die aktuell noch vorhandenen Rentiermoose sind großräumig gefährdet.

Wie kommt das?

Die Antwort ist einfach: Es gibt viel zu viele Rentiere, die die Flechtenheiden aufgefressen haben. Die Flechte reicht einfach nicht mehr als Winternahrung für die heutige Rentierzahl aus.Der Zuwuchs und Ertrag der Fadenflechte (Moosbart) sind nur ein Bruchteil dessen, was die Flechtenheiden im besten Falle zur Nahrung erbringen könnten. Der heutige Rentierbestand kann nicht mehr von den vorhandenen Faden- und Rentierflechten existieren. Da ca. die Hälfte von Nord-Lappland unter Naturschutz steht, kann man dort die alten Bäume, wo Moosbart noch hängt, nicht mal als Notfutter abholzen. Seit den 60er Jahren hat sich die traditionelle Rentierzucht durch die Motorisierung zu einem Wirtschaftszweig mit Gewinnerwartung entwickelt. Da die natürliche Bestandsregulierung durch das freie Weiden und die angesetzte Zusatzfütterung nicht mehr funktionierte, sind die Rentierzahlen auf ein dauerhaft hohes Niveau gestiegen. Um möglichst hohe Gewinne zu erzielen, versuchen die Rentierzüchter, die Kosten zu senken und die Herde zu vergrößern. Die übergroßen Rentierbestände, zusammen mit klimatisch harten Zeiten um die Wende der 60er und 70er Jahre, führten dazu, dass die vorhandenen Flechtenreserven von den Rentieren fast aufgefressen wurden. Als Folge kam es zu einem kurzzeitigen Rückgang des Rentierbestands. Auch die Heide konnte sich ein wenig erholen. Dieser ursprüngliche und natürliche Mechanismus zur Regulierung des Bestands funktioniert wegen der Zusatzfütterung heutzutage nicht mehr.

Dabei beruht die Rentierzucht weiterhin auf der Fähigkeit des Rentiers, seine Nahrung möglichst selbstständig sowohl im Sommer als auch im Winter in der Natur zu suchen. Nahrungsökologisch notwendig sind ausreichende Mengen von Rentier-und Fadenflechte sowie Drahtschmiele über die Wintermonate. Große Herden brauchen viel Flechte und aus diesem Grunde ist man gezwungen, mit der Zusatzfütterung schon früh im Herbst zubeginnen.

Viele Ökosysteme und Arten, unter anderem das Rentier, haben sich im Laufe der Jahre den natürlichen Veränderungen angepasst. Manchmal sind solche veränderte Umstände (Störungen) sogar nützlich für das Überleben der Rentiere oder ihr Wohlbefinden. Jedoch, wenn der natürliche Kreislauf des Rentierbestands gestört wird, besteht die Gefahr, dass dadurch die Wechselwirkung zwischen dem Rentier und seiner Umwelt ganz unterbrochen wird und damit die Grundlage der ganzen Rentierwirtschaft als Teil der samischen Kultur vernichtet wird.

Im Klartext heißt das, wenn die vorhandenen Weideflächen zu große Herden versorgen müssen, führt es zur Gewichtsreduzierung bei den Rentierkälbern und zur Verschlechterung des allgemeinen Zustands bei ihren Müttern. Damit ist die Rentabilität der gesamten Rentierzucht in Gefahr.

Während der letzten Jahre hat der Mensch so stark in das Ökosystem um das Rentier eingegriffen und es verändert, dass es sich einfach nicht mehr so gut wie früher regenerieren kann. Die Anpassung der Ertragssteigerung an die Gegebenheiten der Natur ist zu einem Teil der Umweltschutzstrategie in Nord-Lappland geworden. Der winterliche Ertrag wird auch durch die geographische Lage Nord-Lapplands oberhalb des Polarkreises dadurch begrenzt, dass das Weideland fast 8 Monate im Jahr unter dem Schnee liegt.

Die Rentierweidengemeinschaften haben nicht nur mit den zu großen Herden zu kämpfen sondern jetzt auch mit abgefressenen Weiden als Folge davon. Natürliches Weiden der Rentiere gelingt nur in den weit entlegenen Gebieten Lapplands. Nur durch die zusätzliche Fütterung ist es gelungen, die Rentierzahlen trotz der abgefressenen Weiden auf dem heutigen Niveau zu halten. Das wirkt sich aber nicht nur günstig auf die Rentierwirtschaft aus, da auch die Zusatzfütterung immer teurer wird und das Image der Rentierhaltung leidet. Beides hat eine unvermeidliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Rentabilität zur Folge.

Damit steht fest: Die Anzahl der Rentiere steht in direktem, und diesem Fall, problematischem Verhältnis zur Abnutzung, Verjüngung und zum Rückgang des Weidelandes. In immer kürzerer Zeit werden die Winterheiden kahl und leer gefressen. In manchen Rentierweidengemeinschaften sind die Rentiere gezwungen, ihre Futter auch in den Sommermonaten auf den Winterweiden zu suchen.

Heute spricht man von der Anpassung der Lebensweise an die Gegebenheiten und meint damit die Aufgabe des ursprünglichen Nomadenlebens. Die "Nomaden von heute" greifen zum Motorboot, Motorschlitten und Hubschrauber, um schneller und effektiver zu sein. Die Autos verdrängen nicht die Rentiere. Es ist viel schlimmer. Der technische Fortschritt führt zur Abnahme des gesamten samischen Gebietes.

Die rentiersamische Kultur ist in einer Epoche großer technischer Veränderungen entstanden. Gleich nach dem zweiten Weltkrieg lebten die Samen noch wie in den letzten zwei Jahrhunderten zuvor: Die halbnomadischen Wald- und Skolt-Samen lebten hauptsächlich vom Fischfang, oder Jagd und von ihren Rentierherden. Die an der Küste lebenden Meeres-Samen bestritten ihren Lebensunterhalt aus dem Meer. Die vollnomadischen Berg-Samen hingegen lebten von einer Monokultur. Sie hatten sich ganz auf die Rentierzucht spezialisiert und waren das ganze Jahr mit ihren Herden unterwegs. Zu jener Zeit herrschte noch ein harmonischer Einklang zwischen ihnen und der Natur. Die Rentiere gaben ihnen fast alles, was sie zum Leben brauchten - sei es Nahrung, Kleidung, Werkzeuge usw. Was das Rentier nicht geben konnte, fanden sie in der Natur. Sie trieben auch Tauschhandel. Nur in den Notfällen waren sie gezwungen, etwas zu kaufen.

Anfang der 1960er Jahre veränderte sich das Leben der Rentiersamen. Einerseits brachte die Veränderung Erleichterungen z. B. durch moderne Technik, anderseits bedeutete das Aufgeben der naturgemäßen Lebensweise auch das Verschwinden der Ethik zwischen Mensch und Tier. Gleichwohl benutzen die Rentierzüchter wie früher Holz und Tiere. Aber die alten Dinge wurden zu unnützen Dingen, die ins Museum gehören. Die neu angeeignete Lebensweise der samische Rentierzüchter, Fischer und Jäger war nur für eins gut: dem Rechnen mit Geld.

Durch das Überweiden ist die nutzbare Renweidefläche in weiten Gebieten Lapplands kleiner geworden. Es hat die Ökologie der Weiden geändert oder gar zerstört und manche Moosarten vernichtet. Aber nicht nur die Natur hat unter dieser Vernichtung gelitten sondern auch der traditionelle Same selbst, dessen Lebensbedingungen mit Zerstörung des Gleichgewichts zwischen Natur, Tier und Mensch sich nachhaltig verschlechtert haben. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie menschliche Eingriffe ganze Kulturen zerstören können.

In Lappland haben wir zugleich ein gutes Beispiel dafür, wohin der ungelöste Konflikt zwischen dem wirtschaftlichen Wachstumsdenken und nicht ausreichend geklärten Umweltschutzmaßnahmen führen kann. Dieser ungelöste Konflikt spiegelt sich ursächlich in einem weiteren: im Konflikt zwischen traditioneller und moderner Lebensweise der Samen.