Inka Näkkäläjärvi - für uns alle nur Großmutter "Ahkku"
Im Frühjahr 2009 starb Inka Näkkäläjärvi. Sie war 97 Jahre alt geworden. Inka war eine Rentiersámi. Sie brachte zehn Kinder zur Welt, von denen heute noch sieben leben. Von 1951 bis 1956 half meine Mutter Magga auf Inkas Hof, der am Vaskojoki-Ufer lag. Während der Weihnachtsferien pflegte Inka, mich und die Kinder ihres Bruders und ihrer Schwester nach Heikkilä zu holen.

Foto: Pekka Antikainen, original
Ich traf Inka zum ersten Mal in Inari einige Tage vor Weihnachten im Jahr 1951. Die wunderschöne Fahrt von Inari mit einer Rentierkarawane durch die tiefen Urwälder nach Heikkilä war eindrucksvoll. Trotz der eisigen Kälte - am Abend waren es fast - 40° Grad - fror ich in meinen Rentierfellschuhen nicht.
Die Aufenthalte in Heikkilä sind mir in guter Erinnerung, hatten wir Kinder dort doch immer großen Spaß beim Spiel mit Kiefernzapfen und Rentierschlingen. Was war das für eine Freude! Hunde bellten, Glocken bimmelten, ältere Mädchen schwenkten ihre Röcke. Was wäre die Heimat ohne diese sámische Lebensweise, ohne das klingende Lachen der Kinder hinter der winterlich schönen Rentierherde, die unter der Obhut von Inkas älteren Söhnen stand. Ich bin mit ihren Söhnen viel im Wald gewandert und habe oftmals auf dem Hochstand bei der Jagd und beim Fischfang zugeschaut. Auch kann ich mich erinnern, wie ich erstmals in Panik geriet, als ich ein Rudel Wölfe auf dem anderen Ufer des Vaskojoki-Flusses heulen hörte. Das alles hat mir sehr gut gefallen! Ich habe eine wunderbare Kindheit bei Inka und Iisakki Näkkäläjärvi erlebt. Alle diese Erinnerungen trage ich in meinem Herzen.
Inka war ein Kind der Natur - wie noch viele Sámi ihrer Generation und fühlte bei jedem Schritt ihres langen Lebens den Zug vorausgegangener Ereignisse. In mir steigen die Erinnerungen wieder auf: Inka erzählte mir oft von ihrem Leben in Enontekiö, als sie noch jung war. Wie ihre Vorfahren in Enontekiö fischten, Wild jagten, Rentiere züchteten. Obwohl sie nicht mehr lebt, fühle ich, dass Inka immer noch unter uns ist - im Licht der Landschaft, im Stöhnen des Windes, im Rauschen der Stromschnellen.
Inka wohnte früher in ihrer Lapplandkote in Enontekiö, in einem von Rentiersámen bewohnten Gebiet. Im Jahr 1932 zog ihre Familie nach Inari, an den Kulpakkojärvi. Inka erzählte mir, wie sie im Frühjahr 1932 mit ihrem Mann Iisakki dort am Kulpakkojärvi ihr erstes gemeinsames Lagerfeuer errichtete, Fische fing, Heu für ihre Schuhe im nahegelegenen Sumpf sammelte und neugeborene Rentierkälber markierte. Das alles gehörte zu ihrem Leben. Inka und ihre junge Familie lebten autark, d.h. das, was sie für das tägliche Leben brauchten, stellten sie auch selbst her. Das lange Leben von Inka ist deshalb auch ein Zeugnis davon, wie die Menschen im Einklang mit der Natur leben konnten. Inka hatte sich nie als Herrin der Natur betrachtet. Sie nahm die ganze Zeit teil am sámischen Leben. Für Inka bedeutete das Land den Ursprung des Daseins, die Mutter des Lebens, wo es unter arktischen Verhältnissen möglich ist zu leben, ohne sichtbare Spuren zu hinterlassen. Dies scheint uns angemessen in einem Land, dessen Verfassung die Ruhe und den Frieden des Heims schützt.
Die alten Familien von nomadisierenden Rentierzüchtern unterhielten damals gute Beziehungen zu den sesshaften Sámi. Inkas Familie konnte über eine kürzere oder längere Zeit bei solchen sesshaften Familien wohnen, bei denen Fleisch gegen Milch, Käse, Fisch und Beeren getauscht wurde, ebenso gewebte Stoffe, Fausthandschuhe und andere Strickwaren. Ihre Familie dagegen zähmte Rentiere, sammelte Feuerholz und vermittelte Bestellungen von Schlitten, Leder- und Riemenzeug und anderen Ausrüstungsgegenständen, die man für die Rentierhaltung benötigte. Die Rentierbesitzer erhielten Bargeld, um Steuern zu zahlen und Konsumgüter zu kaufen, indem sie das Fleisch oder lebende Rentiere an Großabnehmer verkauften. Ein Charakteristikum der alten Intensivform der Rentierwirtschaft war, dass die Tiere ziemlich zahm und die Herden klein waren.
Die Produktion diente der Selbstversorgung. Die Größe der Herde spiegelte einerseits den Bedarf von Inkas Familie und andererseits ihr wirtschaftliches Geschick wider. Die traditionelle Rentierhaltung erforderte in der Regel die Arbeitskraft der ganzen Familie. Inkas Familie hat dieses Land zum Wohl aller genutzt und hat stets versucht, dem Land selbst nützlich zu sein. Wenn Inkas Familie Rentiere schlachtete, wurde alles verwertet: Geweih, Kopf, Eingeweide dienten zum Essen oder für Kleidung, dem Schutz in der Nacht, oder als Futter für den Hund. Das Rentier war ein Teil ihres Lebens.
Seit dem II. Weltkrieg herrscht ein ständiger Übergangszustand, verursacht durch den schnellen Verfall der traditionellen Methoden in der Rentierhaltung. Die anfängliche Mechanisierung und spätere, fortschreitende Industrialisierung hat während Inkas Lebenszeit die Rentierwirtschaft völlig verändert. Während der letzten 30 bis 40 Jahre haben die Behörden und die Rentierbesitzer Maßnahmen eingeführt, um die Rentierwirtschaft auf eine gleichwertige Stufe mit anderen Wirtschaftszweigen im Primärbereich zu stellen. Das Ziel ist eine Anpassung der Rentierwirtschaft an die moderne Marktwirtschaft. Hierzu wurden Absatz-Genossenschaften gegründet und moderne Schlachthäuser gebaut, so dass Rentierprodukte jetzt häufiger in den Geschäften angeboten werden. Während das alles die Fleischpreise stabilisierte und größeren Absatz sicherte, bedeutete es aber gleichzeitig den Abschied von der alten Selbstversorgerwirtschaft, die auf Tauschhandel basierte.
Und wenn Inkas Familie auf ihrer Wanderung irgendwo wohnte, in der sámischen Kote und später unter Schutzdächern, geschah dies nie am gleichen Ort und nie so lange, dass die Natur darunter gelitten hätte. In Inkas Leben wurde die Rentieraufzucht zum Rohmaterial für die Fleischindustrie. Inkas Kinder wurden deshalb schon früh der Natur entzogen, um die notwendige Bildung zu erhalten.
Inka wusste und konnte alles, was das Leben in der letzten Wildnis betraf. Sie konnte wunderbare Geschichten über die Rentiersámi erzählen und gab ihre Kenntnisse und Fertigkeiten an ihre Nachkommen weiter, wenn z. B. die Kinder mit sámischer Kunst und Handwerk vertraut machte. Wenn jemand krank war, so wusste sie allerlei alte Heilmittel. Ich begriff durch Inkas Familie, was eine intakte sámische Gemeinschaft für die Entwicklung der Identität bedeutete.