Sámi/Lappen und die historische Forschung
Die Dissertation über die lappische Besiedlungsgeschichte, mit der Matti Enbuske im Juni 2008 an der Universität Oulu promovierte, und die Monographie von Juhani J. Kortesalmi über die Geschichte der Rentierhaltung in Finnland zeigen, wie sich Landbesitz und Landnutzung aus der Perspektive der unterschiedlichen Erwerbszweige in Lappland entwickelt haben. Im Folgenden möchte ich auf die Forschungsergebnisse und Schlussfolgerungen von Matti Enbuske näher eingehen.

Tuomi-Nikula, Outi (2001): Sàpmi. Das Land der Fischer, Jäger und Rentierzüchter. Sonderausstellung des Archäologischen Landesmuseums der Stiftung Schleswig - Hoslsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf. Schleswig. S. 6.
Der Verfasser der Dissertation ist auf seinem Wissensgebiet alles andere als ein Neuling, hat er doch die umfassendste und gründlichste Darstellung der lappischen Besiedlungsgeschichte geliefert, die bislang existiert, und seine wissenschaftliche Kompetenz in zahlreichen Aufsätzen zu unterschiedlichen Themen unter Beweis gestellt. Früher richtete die wissenschaftliche Forschung ihren Blick nur auf die Sámi und gab der breiten Öffentlichkeit und den politischen Entscheidungsträgern somit ein verzerrtes Bild von der Besiedlungsgeschichte Lapplands. Dem Außenstehenden stellt sich die Frage, wie diese Forschung derartig widersprüchliche Bilder von den Sámi hervorbringen konnte und wie es möglich war, dass bei den Entscheidungsträgern gerade die wissenschaftlich bedenklichsten Verallgemeinerungen so große Glaubwürdigkeit erlangten.
Wie zahlreiche neue historische Untersuchungen (u. a. Enbuske 2008) zeigen, war man seinerzeit, als sich um die Einzelgehöfte in den finnischen Wildmarken die ersten Dörfer bildeten, der Auffassung, die Waldgebiete der nahen Umgebung seien Eigentum des Dorfes, die umliegenden unbewohnten Wildmarkgebiete hingegen gemeinsames Land ohne Eigentümer. 1542 erklärte Gustav Vaasa die unbewohnten Wildmarken zu Staatseigentum. 1683 wurde per Dekret die Grenzziehung zwischen den Waldgebieten der Dörfer und den Gemeinschaftswäldern angeordnet. Die Ackerbaufläche war nach einer Art Gewannsystem aufgeteilt, das aber unbefriedigend blieb, und das gemeinsame Waldnutzungsrecht führte zu zahlreichen Streitigkeiten. Bei der 1775 begonnenen Flurbereinigung wurden die Wälder dann unter den zum Dorf gehörenden Höfen als Privatparzellen und als Zusatzländereien verteilt. Diese Höfe hatten über ihren privaten Besitz hinaus auch ein Optionsrecht auf die Gemeinschaftsländereien des Dorfes. Die Regelung der Besiedlung verblieb damit in den Händen der eingesessenen Bevölkerung, und die von anderswo zugezogenen Rentiersámi hatten, anders als oft behauptet, zu keiner Zeit ein Vorzugsrecht auf die Landnutzung. Auch die Sámi, die aus den Lappendörfern stammten, kamen in ihrer Eigenschaft als Dorfmitglieder in den Genuss des Landbesitzes.
Er zeigt die von der eingesessenen Bevölkerung Lapplands vorangetriebene Besiedlung der großen Wildmarken als ein speziell lappisches Phänomen, das deutliche Unterschiede zur finnischen Besiedlungsgeschichte aufweist. In Finnland ging die Besiedlung von den Küstenregionen aus und richtete sich auf die weitläufigen Waldgebiete des Inlands. Die Expansionsbewegung der finnischen Siedler griff auch auf Schweden und Norwegen über und von dort im Rahmen der Auswanderungsbewegung sogar auf Nordamerika.
Die Besiedlungsbewegung, getragen von Wildmarkexpeditionen und Schwendwirtschaft, breitete sich seinerzeit in alle Richtungen aus, wo immer sich dazu eine Möglichkeit bot. Als es irgendwann keine unberührten Gebiete mehr gab, kam es zum Umschwung. Die entstandene geographische Enge und die kräftig angewachsene Nachfrage nach Wildpret führte vor allem im südlichen Lappland zu Spannungen zwischen den Wildmarkgängern und den anderen Bevölkerungsgruppen, die mehr an feste Orte gebundenen Erwerbsformen nachgingen. In der Region von Tornio und Kemi erfolgte die Besiedlung überwiegend durch Bevölkerungsgruppen, die schon lange dauerhaft dort ansässig waren, und nur zu einem geringen Teil durch Zugewanderte. Der oft behauptete Raub sámischer Ländereien durch den Staat entspricht also weitestgehend nicht den Tatsachen.
Enbuske zeigt, dass sprachliche, kulturelle oder ethnische Zugehörigkeit bei der Frage des Landbesitzes zu keiner Zeit von Bedeutung waren. In Schweden tendierte man dazu, das Sámentum nach der Erwerbsweise zu definieren, als die Lebensweise der in erster Linie von der Rentierhaltung lebenden Bevölkerungsgruppe. Es wurde also keine Erwerbsquelle ausschließlich den ethnischen Sámi zugeordnet.
Auch die Rentierhaltungsrechte der Sámi beruhten nicht auf den historisch gewachsenen Ansprüchen einer ethnischen Gruppe aus grauer Vorzeit. Die Rentierhaltung im großen Stil wurde auf finnischem Gebiet erst heimisch durch eine im 19. Jahrhundert eingewanderte kleine Gruppe von Rentiersámi. Wie Juhani J. Kortesalmi nachweist, bedeutete dieser Prozess jedoch keineswegs die Einführung einer fortschrittlicheren Produktionsweise, da die seit alters im finnischen Lappland ansässigen Sámi schon eine eigenständige Erwerbsform herausgebildet hatten, in der der Rentierhaltung eine wichtige Stellung zukam. Die zugewanderten Rentiersámis ließen sich also als eine separate Gruppe unter der eingesessenen, Landwirtschaft treibenden Sámibevölkerung nieder. Der Prozess des Sprachwandels lief bei diesen Zuwanderern anders ab als bei den eingesessenen Sámi, die eine Generation zuvor unter dem zunehmenden Einfluss der Landwirtschaft vom Sámischen auf das Finnische übergegangen waren.
Die Fragestellung spiegelt die Schwierigkeiten wider, in die man gerät, wenn man versucht, an die lappische Geschichte mit einem globalen Begriff von Ursprünglichkeit heranzugehen. Enbuske konstatiert denn auch, dass es vom Standpunkt der historischen Entwicklung nicht sehr sinnvoll ist, einen Zeitpunkt zu postulieren, mit dem das moderne Sámentum im ethnischen Sinne beginnt oder die Verdrängung der ursprünglichen Kultur durch das Finnentum vollzogen ist. Hier wirken jedoch auch die gesellschaftspolitischen Zielsetzungen der Moderne hinein, zu denen kultureller Pluralismus, Verständnis für kulturelle Heterogenität und die Sicherung der Lebensbedingungen von Minderheiten gehören.
Wie viel Neues hat Enbuskes Arbeit letztendlich zu bieten? Sie untersucht die Besiedlung und Verwaltung des schwedisch-finnischen Königreichs und in diesem Zusammenhang die Besiedlung Lapplands mit einer bisher noch nicht da gewesenen Gründlichkeit und erlaubt den Schluss, dass das bisherige Bild von der Besiedlung und Verwaltung Lapplands zu einseitig ist und auf falschen Verallgemeinerungen beruht. Dies halte ich für die zentrale Leistung dieser Arbeit. Eine weitere bedeutende Leistung ist die Richtigstellung etlicher Irrtümer der bisherigen Forschung.
In diesem Zusammenhang kommt mir Väinö Tanner in den Sinn, der sich intensiv mit den Verhältnissen der Skoltsámi befasst hat. Auch Tanner ging es in seiner Forschungsarbeit um die tatsächlichen Gegebenheiten und nicht um die Erwartungen der politischen Kreise. Enbuskes Dissertation hat keine künstlerischen Ambitionen und verfolgt ausschließlich wissenschaftliche Zwecke. Erst ein derart gesichertes faktisches Wissen gibt der gesellschaftlichen Diskussion und Aktivität eine solide Basis. Es reicht nicht aus, dass die historische Forschung nach der Wahrheit strebt, sondern es kommt auch darauf an, dass sie zu ihr hingelangt.
Dieser kleine historische Rekurs gibt Anlass zu der Frage, wem diese Wälder und Ländereien rechtmäßig gehören sollten: denen, die die Wildmarken seinerzeit unter äußersten Mühen und Strapazen besiedelten, ohne Rücksicht auf ihre sámische Ethnizität, oder den Rentiersámi, deren Vorfahren erst vor etwas mehr als 100 Jahren in das finnische Lappland einwanderten. Nach der in Finnland herrschenden Definition zählen nämlich die aus den eigentlichen historischen Lappendörfern stammenden Menschen nicht zur indigenen Bevölkerung. Sollten nicht vielmehr diejenigen in den Genuss dieser Rechte kommen, die die hergebrachte Lebensweise weiterführen und die auf die Wälder wirklich angewiesen sind und in ihnen leben und arbeiten? Zunächst aber müsste man darüber diskutieren, ob die Wälder nur den offiziell als solche anerkannten Sámi Nutzen bringen sollen, also gutsituierten Mitgliedern der Gesellschaft, die mit ihren Rentieren, Löhnen und Renten ohnehin schon ein gutes Auskommen haben.
Die Sámi sind ja keineswegs das landlos dahindarbende Volk, als das sie oft hingestellt werden. Im Unterschied zu ihren norwegischen und schwedischen Stammesbrüdern verfügen die finnischen Sámi über eigenen Landbesitz von der Größe eines kleinen mitteleuropäischen Staates. Ihre Besitzrechte ebenso wie ihre Weiderechte auf fremden Ländereien sind bestens gesichert. Was wollen sie eigentlich noch mehr?
Matti Enbuske, Vanhan Lapin valtamailla. Asutus ja maankäyttö historiallisen Kemin Lapin ja Enontekiön alueella 1500-luvulta 1900-luvun alkuun. Helsinki: Suomen Kirjallisuuden Seura 2008 (Bibliotheca 113) [In den Kerngebieten des alten Lappland. Besiedlung und Landnutzung in den Regionen Kemi und Enontekiö vom 16. Jahrhundert bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts]